Während viele Tourismusgegenden hier in Rio glamorös wirken und jeden erdenklichen Luxus bieten, lebt eine Vielzahl der Cariocas in sehr bescheidenen Bedingungen. Hoch oben in den Hügeln von Rio de Janeiro liegen die Favelas, welche einen zweifelhaften Ruhm tragen. Gewalt unter rivalisierenden Drogenbanden steht hier vielerorts auf der Tagesordnung, die Stadtverwaltung mischt sich lieber nicht ein. Um zu sehen was es damit wirklich auf sich hat habe ich eine geführte Tour gebucht und lasse mir von einem Einheimischen das Leben hier näher bringen.
Gleich vorweg, die Favela von Santa Marta gilt als eine der friedlichsten von ganz Rio. Trotzdem sollte man es sich zweimal überlegen, hier ohne Guide unterwegs zu sein. Und auch mit Guide gibt es einige Regeln zu beachten, so sind Fotos etwa nur an bestimmten Stellen erlaubt und auch auf seine Wertgegenstände sollte man besonders achten.
Meine Tour startet am Fuß des sehr steilen Hügels. An sich gibt es eine Zahnradbahn, welche den Aufstieg erleichtert, diese ist im Moment aber außer Betrieb. So geht es über verwinkelte Treppen hinauf zu unserer ersten Station – dem quasi Gemeindeamt der Favela. Die Favela funktioniert nämlich wie eine Stadt innerhalb der Stadt, inklusive einer demokratisch gewählten Vertretung. Zugleich ist hier auch die Stelle, wo die Post für die tausenden Bewohner zugestellt wird. Infrastruktur wie in den andern Stadtteilen sucht man hier vergeblich, Steuern zahlen müssen die Bewohner trotzdem.

Gebaut wird mit allem, was verfügbar ist. Früher war das hauptsächlich Holz, heute Ziegel. Dabei wird versucht wirklich jede Ressource wiederzuverwenden. Oft leben mehrere Generationen in einem Haus, die jüngste fügt einfach ein Stockwerk hinzu. Bauvorschriften gibt es keine, genauso gibt es keine Kanalisation. Das Abwasser wird in oberflächlichen Kanälen ins Tal geleitet, wo es in der Kanalisation von Rio landet. Dementsprechend ist der Gestank mancherorts kaum auszuhalten.
Auf halbem Weg nach oben dann eine gute Nachricht, der Rest des Weges kann mit der Zahnradbahn zurückgelegt werden. Diese dient, neben dem Personentransport, auch dazu, Lebensmittel und Vorräte ganz nach oben zu bringen, denn Straßen gibt es keine. Tickets für die Bahn übrigens auch nicht, anstatt dessen kaufen wir einer Gruppe Burschen, die in der Nähe Fußball spielt, ein paar Flaschen Cola. Die Zugführerin ist zufrieden und nimmt uns mit.

Von ganz oben bietet sich dann ein herrlicher Ausblick über Rio. Hier, im unzugänglich Gelände, hatte die Favela ihren Ursprung. Nach dem Ende der Sklaverei in Brasilien im Jahr 1888 siedelten sich die ehemaligen Sklaven hier an, weit Weg vom Zugriff des Staates. Über die Jahrzehnte wuchs die Favela dann nach unten, bis an die Stadtgrenze von Rio. Doch eines ist geblieben, auch heute noch sind ein Großteil der Bewohner Nachfahren der einstigen Sklaven.

Scheinbar vergessen leben die Menschen hier, oft ohne Aussicht auf ein besseres Leben. Vor allem junge Menschen sehen Kriminalität und Drogenhandel als Ausweg, was den Favelas auch ihren Ruf als gefährliche Orte einbringt. Doch es gibt auch Menschen, die versuchen, der Jugend eine andere Perspektive zu geben. So besuchen wir ein Haus, welches von einem Bewohner zum Musikzentrum umgestaltet wurde. Hier können junge Menschen Instrumente lernen, um vielleicht eines Tages bei den berühmten Karnevalsumzügen mitzuwirken. Und natürlich wird auch an jeder Ecke Fußball gespielt.

Einer, der einen großen Anteil daran hat, dass die Favela Santa Marta heute als eine der friedlichsten gilt und Touristen anzieht ist der King of Pop, Michael Jackson. Als er die Idee hatte, einen Teil des Musikvideos zu They don’t care about us hier zu drehen, war der Aufschrei groß. Die Behörden versuchten die Dreharbeiten zu verbieten, weshalb Jackson direkt mit dem Hubschrauber am Fußballplatz am Gipfel der Favela landete. Ganz in der Nähe davon befindet sich heute der Michael Jackson Platz inklusive Statue des Sängers.

Rund um den Platz gibt es eine Bar sowie einige Souvenirläden. In einem davon zeigt uns die Eigentümerin stolz das Musikvideo, in dem sie auch für einige Sekunden zu sehen ist. Auch nach dem Videodreh soll Michael Jackson die Favela finanziell unterstützt haben, weshalb er von vielen der Einwohner heute noch verehrt wird.

Zu Fuß machen wir uns dann wieder auf den Weg nach unten. Durch ein Labyrinth von Stiegen und Gassen, in dem wir ohne Guide garantiert verloren wären. Vorbei an Menschen, die ihre Häuser aufstocken, Kindern, die sich im Planschbecken abkühlen, sowie einer ganzen Menge an Hunden und Katzen, die hier auf engstem Raum mit den Bewohnern der Favela leben. Bewaffnete Person habe ich übrigens in den drei Stunden hier keine einzige gesehen. Hoffentlich ein Zeichen dafür, dass sich dieser Ort weiterentwickelt und die nächsten Generation frei von Gewalt aufwachsen kann.





